Goetheschule Mühlheim
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Lesen

1. Strategisches Ziel Nr. 1

Um die Problematik auszuführen, haben wir den folgenden Text aus den „Leistungsvereinbarungen zum Strategischen Ziel Nr. 1“ entnommen.

 

 Leistungsvereinbarungen zum strategischen Ziel Nr. 1

Am Ende des zweiten Grundschuljahres sollen alle Schülerinnen und Schüler altersgemäße Texte sinnerfassend lesen können.

 

Ergebnisbezogene Definition des Ziels:

alle Kinder – Damit sind alle Kinder gemeint, die an dem Unterricht in der Klasse 2 teilgenommen haben. Sofern Kinder im Verlauf des zweiten Schuljahres hinzukommen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, muss ein von dem Strategischen Ziel abweichendes individuelles „Teilziel“ von der unterrichtenden Lehrkraft unter Berücksichtigung des jeweiligen Lernstands des Kindes festgelegt werden.

 

am Ende des zweiten Grundschuljahres – Am Ende der zweiten Klasse soll das Ziel erreicht sein. Zu einem festgelegten Zeitpunkt am Schuljahresende sind entsprechende Evaluationsinstrumente zur Überprüfung des Ziels einzusetzen.

 

altersgemäße Texte – Dies sind Texte, die dem Erfahrungshorizont und der Erlebniswelt der Kinder entsprechen. Sie sind in Umfang, Wortwahl und Inhalt 7 bis 9-jährigen Kindern angemessen. Dabei ist eine Auswahl verschiedener Textsorten wie z. B. Sachtexte, literarische Texte vorzunehmen.

 

sinnerfassend lesen – Kinder müssen in der Lage sein, das Gelesene in unterschiedlichen Zusammenhängen wiederzugeben und anzuwenden z. B. im Rahmen von Fragestellungen zum gelesenen Text oder von Transferaufgaben, bei denen das neu erworbene Wissen angewendet wird, z. B. in Bezug auf andere Lesetexte, indem Vergleiche hergestellt werden.

 

Das strategische Ziel ist erreicht:

  • wenn alle Schülerinnen und Schüler, bei denen keine erschwerenden Bedingungen (Erklärung s. u.) vorliegen, Informationen im Text erkennen und explizit / in unveränderter Form wiedergeben können (Reproduktion, Kompetenzstufe I nach IGLU)
  • wenn die überwiegende Mehrheit der Schülerinnen und Schüler (zwei Drittel) Informationen aus einem Text entnehmen und in veränderter Form – mit eigenen Worten, aus anderer Perspektive – wiedergeben sowie einfache Schlussfolgerungen ziehen kann (Reorganisation, Kompetenzstufe II)
  • wenn das leistungsstärkste Viertel aller Schülerinnen und Schüler Informationen auf vergleichbare Sachverhalte und Anwendungssituationen beziehen, komplexe Schlussfolgerungen ziehen und einfache Probleme lösen kann (Transfer, Kompetenzstufe III).

Erschwerende Bedingungen:
Hinsichtlich der Erreichung des Strategischen Ziels bestehen besondere Herausforderungen bei Kindern mit Lernschwierigkeiten. Dazu zählen häufig Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder mit Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben.

(Zitatende)

 

2. Theoretische Grundlagen des Lesenlernens

Die kindliche Leseentwicklung kann nach Scheerer-Neumann in 7 Phasen unterteilt werden, die untereinander aufbauen. Jede Phase ist durch typische Strategien charakterisiert, die das Kind im Umgang mit Geschriebenem vorwiegend nutzt. Bereits Gelerntes wird in den folgenden Entwicklungsschritt integriert.

 

Das Phasenmodell:

Phase 1:         präliteral-symbolische Leistungen

  • Umgang mit Bildergeschichten
  • Unterscheidung von Schrift und Bildern

Phase 2:         logographische Leistungen

  • Benennen von Firmenzeichen/Emblemen und Wörtern mit speziellem Schriftzug
  • Kontext als Erkennungshilfe

Phase 3:         logographemische Leistungen

  • Benennen des Wortes anhand einzelner Grapheme aufgrund visueller Merkmale
  • Kontext als Entschlüsselungshilfe

Phase 4:         Erste Graphem-Phonem-Korrespondenzen

  • Entscheidender Strategiewechsel
  • auditive Diskriminierung der Laute
  • Kind lernt, dass Grapheme einen Lautwert symbolisieren
  • Kontext als Entschlüsselungshilfe

Phase 5:         Vollständiges Synthetisieren

  • Der Kontext wird als Entschlüsselungshilfe gemieden
  • Übersetzung einzelner Buchstaben in Laute und deren Zusammenschleifen

Phase 6:         Fortgeschrittenes Lesen

  • Segmentation des Wortes in Verarbeitungseinheiten (Buchstaben, Buchstabengruppen, Sprechsilben, Morpheme, Signalgruppen, Ganzworterfassungen
  • Lesesinnverständnis im Hintergrund

Phase 7:         Flüssiges Lesen

  • Automatisierung der Lesestrategien
  • Flexible Anwendung der Verarbeitungseinheiten
  • Lesesinnverständnis im Zentrum

 

Stolpersteine, Ziele und Maßnahmen zur Steigerung der Lesefertigkeit

Der Übergang von einer Phase zur anderen kann manchmal zu Problemen führen. Diese Stolperstellen im Leselernprozess müssen diagnostiziert und die Schüler durch entsprechendes Übungsmaterial gefördert werden.
Eine entsprechende Auflistung der Stolperstellen und der sinnvollen Fördermaterialien bietet die folgende Tabelle von einer Fortbildung.

 

Stolpersteine Zielsetzung Förderung

Schwache Hypothesenbildung:

Kind hat Schwierigkeiten, Wort- oder Satzsinn zu antizipieren

Herausbildung einer aktiven Sinnerwartung auf

  • Wortebene
  • Satzebene
  • Textebene
  • Fensterkarten
  • Wortteile / Satzteile mit vorgegebenen Teilen verbinden
  • Schnipselssätze/ -texte
  • Mehrere Sätze zu einem Thema, ein Satz ist falsch
  • Monk- oder Eumelsätze oder -texte

unzureichende Speicherung von abrufbereiten Wortbildern:

Kind liest häufig auftretende Funktionswörter noch synthetisierend

  • Automatisiertes Worterkennen
  • Nutzen von Wortteilen
  • Sichtwortschatz erweitern
  • Blitzlesen
  • Wortlisten
  • Wiedererkennungs
    spiele
  • Bingo
  • Leseschieber
  • Reimwörter

Schwächen beim Erkennen von Wort-untergliederungen/ synthetisierendes Lesen:

Kind wechselt beim Erlesen von langen Wörtern zur Buchstabenebene

  • Auf bekannte Wortteile achten
  • Steigerung der visuellen Wortdetailauffassung (Morpheme/ Signalgruppen)
  • Schiebesätze
  • Gliederung von Wörtern
  • Herausheben von Wortteilen
  • Silbenbögen

Mangelnde Sinnerfassung durch zu geringe Lesegeschwindigkeit:

Kind liest wortweise abgehackt

  • Syntaktisch zu-sammengehörende Gruppen als Einheit erfassen (Wortgruppen)
  • Sinnerwartung steigern
  • Treppensätze
  • Flattersatz (Sinneinheiten stehen in einer Reihe)
  • Sinnschritte mit Strichen abtrennen
  • Optische Strukturierung des Textes

 

 

Lesen wird nicht vom Textinhalt gestützt

Kind liest ungenau mit vielen Ersetzungen, Hinzufügungen, Auslassungen von Buchstaben oder Wörtern

  • Selbstkorrektur durch Übungen, die zum genauen Lesen auffordern
  • Sinnerwartung „entschleunigen“
  • Texte, in denen Unsinnswörter enthalten sind (Hose statt Hase)
  • Wortkleckse
  • Lese-Mal-Blätter
  • Wortschlangen
  • Bastelanleitungen
  • Fragen zum Text (Kreuze an, was richtig ist.)
  • Geschichtenmix
  • Rückwärts lesen

Mangelnde Sinnschrittgliederung

Kind hat Schwierigkeiten, fließend, sinngemäß und verständlich vorzulesen (Satzzeichen werden überlesen, Lesepausen fehlen, keine bzw. falsche Betonung)

  • Bedeutungsentnahme bei gleichzeitiger Interpretation durch Betonung und Ausdruck
  • Satzmelodie dem Inhalt anpassen
  • Fließend lesen
  • Flattersatz
  • Bewegung zu den Satzzeichen machen
  • Mit verteilten Rollen lesen
  • Sätze mit unterschiedlicher Betonung lesen (traurig, glücklich, wütend…)

 

3. Leselernen im Anfangsunterricht

Seit einigen Jahren arbeiten wir im 1. Schuljahr erfolgreich mit dem Konzept „Lesen durch Schreiben“, das mit einer systematischen Einführung der Buchstaben kombiniert wird.
Die Arbeit nach dem Konzept Lesen durch Schreiben lässt sich zeitlich gesehen in zwei Phasen gliedern, die etwa den beiden Halbjahren entsprechen.

 

1. Halbjahr

Verschriften
Die Kinder verschriften mit Hilfe der Anlauttabelle Wörter und Sätze. Bei diesem Prozess erwerben sie die Grundfertigkeiten der Analyse und Synthese. Aus dem ständigen Üben der Synthese beim Schreiben (Vorsprechen, was man schon geschrieben hat), entwickelt sich das Zusammenlesen.
Der Schritt zur Synthese und zum Erlesen von Wörtern vollzieht sich bei jedem Kind zu einem anderen Zeitpunkt.
Ziele:     

- Kennenlernen der Phonem-Graphem-Korrespondenzen
- Verständnis des Verschriftungsvorgangs
- Erkennen der Synthese
Diagnose:      

Die Verschriftungen der Kinder zeigen deutlich, auf welcher Stufe der Schreibentwicklung sich die Kinder befinden. Schwierigkeiten, die hier deutlich werden, beeinflussen auch den Leselernprozess.
Förderung:      Da der Weg zum Lesen bei dieser Methode über das Schreiben erfolgt, werden die Kinder primär zunächst beim Verschriften (Abhören der Laute) unterstützt.
Vorteilhaft ist, dass der Ansatz in sich sehr differenziert ist. Jedes Kind arbeitet auf seinem individuellen Niveau. Während ein Kind noch übt, Laute aus einem Wort herauszuhören, schreibt ein anderes ganze Sätze oder fängt an zu lesen.

 

Arbeit mit Buchstaben
Die Buchstaben werden einzeln eingeführt und geübt. Sie sollen geschrieben, im Wort abgehört und visuell wiedererkannt werden. Mit der Zeit kommen auch Buchstabenkombinationen bzw. Wortanfänge hinzu.
Ziele:     

- Sicherung der Buchstabenkenntnis
- „Erlesen“ von Anlauten, Wortanfängen
Diagnose:      

Tests zur Überprüfung der Buchstabenkenntnis, bzw. zum Erkennen von Wortanfängen
Förderung:     

Übungen zur Buchstabenkenntnis (visuelle und akustische Differenzierung), Übungen zur Zuordnung von Wortanfängen.

 

Antizipation
Ständige Übung des antizipierenden Lesens. Wie könnte das Wort heißen? Hierfür müssen die Kinder ihr gesamtes Vorwissen aktivieren. In welchem Zusammenhang steht das Wort? Welche Buchstaben kenne ich schon? (Ein Wort, das mit B anfängt, kann nicht Auto heißen.) Wie lang ist das Wort?
Ziele:     

- Bedeutung des semantischen Kontexts beim Lesen erfahren
- Übung der Antizipation
Diagnose:       

Beobachtungen im Unterricht
Förderung:     

Auch hier arbeiten die Kinder auf individuell unterschiedlichem Niveau. Während einige Kinder über einzelne Wörter nachdenken, können andere schon Sätze lesen.

 

2. Halbjahr

Etwa nach Ende des 1. Halbjahres sind die meisten Kinder in der Lage, Wörter zu synthetisieren und es beginnt eine Reihe von Leseübungen im Unterricht, welche die Lesefähigkeit weiter schulen sollen:

  • angefangene Sätze ergänzen
  • Lese- Mal- Aufträge
  • zusammengehörende Wörter finden
  • Wort – Bild bzw. Text – Bild – Zuordnungen
  • Malen zu selbst gelesenen Texten

Ziele:     

Förderung des sinnerfassenden + antizipierenden Lesens

Förderung:     

Übungen wie oben beschrieben

 

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© Julia Langenhan