Geübte Diktate werden in der Schule nicht mehr geschrieben, seitdem man weiß, dass man sich zwar im Kurzzeitgedächtnis Wörter merken kann, sich dadurch aber kein Rechtschreibgespür aneignet. Der
Rechtschreiblernprozess ist nicht additiv und der Mensch besitzt keinen "Wortbildspeicher". Deshalb lernen die Kinder nicht einzelne Wörter auswendig, sondern erhalten über das Konstruieren von
Wörtern ein Gespür für die Rechtschreibung. Dabei verbessert sich die Qualität des Rechtschreibens auf den drei Ebenen Laut-, Wort- und Satzkompetenz. Diese Entwicklung wird angeregt und unterstützt,
wenn die Kinder viel schreiben und ihre Ergebisse regelmäßig kontrollieren.
Drei Prinzipien der Rechtschreibung
Schreiben ist immer auch Rechtschreiben. Daher ist es integrativer Bestandteil eines jeden Unterrichts. Das Rechtschreibenlernen gelingt allerdings leichter in einem differenzierten individualisierten Training, in dem jedes Kind in seinem eigenen Tempo und aufbauend auf seinem schon vorhandenen Wissen weiterarbeiten kann. Unabhängige Trainingsstunden zum Erlernen der Rechtschreibung ermöglichen ein selbstständiges Arbeiten der Kinder und ein hohes Maß an Differenzierung.
In der Goetheschule wird nach zwei Konzepten mit den Schülerinnen die Rechtschreibung erarbeitet, die beide individuelles Rechtschreiblernen ermöglichen. Beide werden im Folgenden erläutert.
Der Rechtschreiblernprozess ist ein qualitativer Entwicklungsprozess, der sich auf drei Ebenen (Laut-, Wort- und Kontextebene) parallel vollzieht. Diese Entwicklungs-ebenen bilden zugleich die
Ordnung der Rechtschreibung, wie sie für den Lernprozess genutzt wird.
Die Rechtschreibwerkstatt nach Sommer-Stumpenhorst ist ein Bild, das den Kindern die Ordnung der Rechtschreibung und den Verlauf des Rechtschreibprozesses überschaubar macht. Die drei Etagen stehen
für die grundlegenden Rechtschreibprinzipien. Die einzelnen Zimmer der Rechtschreibwerkstatt geben die einzelnen Lernbereiche an. Im Untergeschoss sind grundlegende Kompetenzen, die immer wieder
geübt werden müssen, aufgeführt.
In der Rechtschreibwerkstatt lernen die Kinder zunächst die Ordnung der Laute, dann der Wörter, die Ausnahmeschreibungen auf der Laut- und Wortebene und die Ordnung der Sätze kennen. In jedem Zimmer
der Rechtschreibwerkstatt wird jeweils ein zentrales Rechtschreibprinzip vermittelt.
Im Mittelpunkt des Lernens stehen die Entwicklung eines Rechtschreibgespürs, das Aufbauen eines Rechtschreibwissens (Eigenregeln) und das Korrigieren von Texten (Ausnahmen und Fremdwörter erkennen
und ggf. nachschlagen).
Wir vermitteln den Kindern nicht einzelne Wörter, sondern in seinem individuellen Lerntempo erarbeitet sich jedes Kind die verschiedenen Konstruktionsprinzipien der deutschen Rechtschreibung. Um ein
hohes Maß an Differenzierung zu erreichen, sind die Übungsmaterialien so gestaltet, dass die Kinder selbstständig arbeiten können. Selbstständig lernen bedeutet, die Kinder lernen unabhängig von
anderen (Lehrerin) und aus eigenem Antrieb. Das ist wiederum nur möglich, wenn die Kinder Lernmethoden kennen, die sie selbstständig und ertragreich einsetzen können. Diese Methodenkompetenz lässt
sich nur aufbauen, wenn die Kinder erfahren, durch welche Übung (Methode) sie einen Lernfortschritt erzielt haben. Um dies zu erfahren, wird von den Kindern jede Übung (Lautübungen, Abschreibtexte,
Partnerdiktat, Modellwortschatz, Lesetexte etc.) in einem Protokollbogen (Rechtschreibpass) selbstständig festgehalten.
Schreiben und Rechtschreiben sind integrale Bestandteile eines jeden Unterrichts. In jedem Unterricht wird geschrieben und damit Rechtschreibung angewendet. Im Mittelpunkt steht daher das Verfassen
von Texten. Dabei wird von Beginn an darauf geachtet, dass die von den Kindern verfassten Texte angemessen richtig geschrieben werden. Angemessen richtig schreiben bedeutet, dass die Kinder bei allen
Texten, die sie verfassen, die in den einzelnen Zimmern der Rechtschreibwerkstatt gelernten Schreibprinzipien anwenden. Die Privatschreibungen der Kinder sind Hinweise darauf, an welcher Stelle sie
sich im Rechtschreiblernprozess befinden. Andererseits werden die Kinder kontinuierlich dazu ermutigt, ihre Rechtschreibkompetenz bei allem was sie schreiben anzuwenden.
Durch die Zielmotivation („Ich will genauso schreiben können, wie die Erwachsenen."), durch die kontinuierliche Rückmeldung über den Lernverlauf (qualitative Analyse der Schülertexte, Auswertung des
Bild-Wort-Tests bzw. des Diagnosediktats) und durch das selbst gesteuerte und eigenverantwortliche Lernen (Rechtschreibpass) wird die Lernmotivation der Kinder aufgebaut und erhalten.
Somit verfolgt das Konzept der Rechtschreibwerkstatt auch folgende grundlegende pädagogische Ziele: Die Kinder werden zu selbstständigem und effizientem Lernen angeleitet, dabei nutzen sie die
eigenen Talente und lernen, mit Schwierigkeiten umzugehen und übernehmen Verantwortung für das eigene Lernen und soziale Verantwortung.
Das Leßmann-Konzept
Beate Leßmann hat das Schreibverhalten von Grundschulkindern aller Schuljahre über viele Jahre hinweg beobachtet und systematisch untersucht.
Das freie, individuelle Verfassen von Texten ist die Grundlage der Schreibund
Rechtschreibkompetenzentwicklung jedes einzelnen Kindes.
Geschriebene Texte bieten Anlass, den Schreiber oder die Schreiberin
mit ihren eigenen Gedanken und Ideen zu würdigen.
In Schreibberatungsgesprächen, Schreibkonferenzen und anderen Formen der Textüberarbeitung erfahren die Kinder die textspezifische Wirkung und entdecken die besondere Machart des jeweiligen Textes. Hinweise daraus werden auch zu wichtigen Wegweisern für die weiteren Textproduktionen. Im Morgenkreis oder in einer Wandzeitung präsentieren Kinder ihre Texte.
Ein typisches Merkmal des Leßmann-Konzeptes ist die direkte Vernetzung
von Schreiben und Rechtschreiben. Die Kinder lernen anhand eigener
Texte und ihrer Fehler Rechtschreibphänomene kennen, die sie mithilfe
der Rechtschreibboxen üben und vertiefen. Das freie Schreiben wird vom Beginn des ersten Schuljahres an ermöglicht und sehr individualisiert weiterführt. Dabei wird deutlich, wie man Schreiben und
Rechtschreiben sinnvoll verbinden kann und wie man auf diese Weise den individuellen Lernbedürfnissen der Schüler gerecht wird. Hier muss man individuell arbeiten – längst erklärtes Ziel aller
Leßmann-Materialien!
Förderkonzept bei Schwierigkeiten im Rechtschreiben
Nach der Maßgabe der Verordnung zur Gestaltung des Schulverhältnisses vom 19.August 2011
Bereiche:
Anmerkungen zu den Bild-Wort-Tests: Mit Hilfe des Bild-Wort- Testes kann die Rechtschreibkompetenz in der ersten und zu Beginn der zweiten Klasse überprüft werden. Im Mittelpunkt
steht die Frage, welche Laut-Buchstaben-Zuordnungen die Kinder bereits beherrschen. Um auch leistungsstarke Kinder erfassen zu können, enthält der Test zusätzlich einige Besonderheiten der
Laut-Buchstaben-Zuordnung, die nicht zu den Lernzielen der Klasse 1 gehören.
Der Bild-Wort-Test 1 kann auf verkleinert auf eine DinA4 Seite kopiert werden.
Der Bild-Wort-Test ist an das Siebungsverfahren nach Dr. Dummer-Smoch angelehnt. Zu diktierende Wörter bzw. standardisierte Werte können der Handanweisung DBL Diagnostische Bilderlisten (gelbes
Heft/ Lehrerbücherei) entnommen werden.
Sobald die Kinder längere Wort- oder Satzdiktate schreiben können, kann die Analyse der Laut-Buchstaben-Zuordnung bzw. Lautdurchgliederung im zweiten Schuljahr auch über die üblichen
Diagnosetests/-diktate des Leßmann- bzw . Rechtschreibwerkstattsystems erfolgen.
Um abzuklären, ob „besondere Schwierigkeiten im Rechtschreiben“ gemäß Verordnung vorliegen kann in Einzelfällen die HSP (Hamburger Schreibprobe) geschrieben werden. Die Konferenz hat
entschieden, dass unterhalb einem Prozentrang von 15 „besondere Schwierigkeiten“ gemäß Verordnung vorliegen und dokumentiert werden. Kinder mit Werten oberhalb des Prozentrangs 15 gelten als schwache
Rechtschreiber, die nicht unter die Bezeichnung „besondere Schwierigkeiten“ fallen.
Besondere Schwierigkeiten im Rechtschreiben werden in einer Klassenkonferenz spätestens vor den halbjährlichen Lernentwicklungsgesprächen besprochen bzw. im individuellen Förderplan evaluiert und je nach Bedarf fortgeschrieben.
Die Diagnosetests werden durch Zusammenarbeit von DeutschlehrerIn und Doppelbesetzung in Deutsch vorbereitet, im Klassenverband bzw. in kleinen Gruppen/ u.U. Einzelsituation geschrieben und in
Absprache ausgewertet. Der Förderplan wird von beiden Lehrkräften in Absprache erarbeitet, mit den Eltern gemeinsam besprochen und gemeinsam evaluiert.
Andere Förderlehrkräfte der Schule (MPT=Multiprofessionelles Team) bzw. die Ansprechpartnerin für besondere Schwierigkeiten im Rechtschreiben (Grundschullehrerin) können zur Beratung über
Testverfahren, Durchführungszeitpunkte, Auswertungsfragen und Förderarrangements hinzugezogen werden.